08.02.2024: Wer es mit der Demokratie ernst meint, zerstört nicht auch noch das Vertrauen in unser Gesundheitssystem

Positionspapier 2024 Bundesverband Ambulantes Operieren e. V.

Wer es mit der Demokratie ernst meint, zerstört nicht auch noch das Vertrauen in unser Gesundheitssystem

Zu Beginn dieses Jahres ist die Bundesrepublik Deutschland erheblich in ihrer innen- und außenpolitischen Existenz bedroht. Die aktuelle Situation ist das Ergebnis jahrelanger parteiübergreifender Versäumnisse und Problemverlagerungen in die Zukunft. Jetzt ist diese Zukunft Gegenwart geworden, die Probleme nehmen an Zahl und Umfang weiter zu und Lösungen sind in noch größere Ferne gerückt. Gleichzeitig werden systemrelevante und demokratiestärkende Grundpfeiler unserer Gesellschaft wie das Bildungs- und Gesundheitssystem nicht zufällig, sondern gezielt kaputt reguliert. Auf die übersichtliche Idee, dass beides in Zusammenhang steht, sich gegenseitig ergänzt und generationenübergreifend alle Gesellschaftsschichten betrifft, sind weder die derzeitige Ampelkoalition noch ihre vielen Vorgängerregierungen gekommen.

Welche politische Elementarkraft diese Fehlentwicklungen haben können, belegt der Status quo zum Jahreswechsel 2023/2024: die spärlich vorhandenen Gesundheitskompetenzen in der Bevölkerung nehmen weiterhin ab, sodass die nicht bedarfsgerechte Inanspruchnahme von Gesundheitseinrichtungen weiterhin zunimmt und damit die knappen Ressourcen im Gesundheitswesen vor allem in Bezug auf Personal und Zeit, unnötig und verantwortungslos vergeudet werden. Gleichzeitig steigt die Anspruchshaltung der Bevölkerung, angeheizt durch plakative Versprechungen von Krankenkassen und Politikern und die Tendenz, bei Nichterfüllung in verbale und physische Gewalt umzuschlagen.

Jungen Menschen ruft man zu: Augen auf bei der Berufswahl! Demokratischen Parteien in Regierungsverantwortung hat man leider zu spät zu verstehen gegeben, auch ihre Augen einschließlich Ohren offen zu halten, wenn es um die Auswahl von KandidatInnen für Regierungsämter geht. Der designierte Kanzler Olaf Scholz wusste sehr genau, wem er die Führung des Bundesgesundheitsministeriums anvertraut. Und er wusste ebenso sehr genau, welche gesundheitspolitischen Altlasten und Fehlentscheidungen mit dieser Personalie verbunden und welche hinzukommend zu erwarten sind. Damit nicht genug; seit über zwei Jahren schenkt er den befürchteten und eingetroffenen gesundheitspolitischen Maßnahmen in seinem Kabinett so gut wie keine Aufmerksamkeit. Man kann sich nicht um alles kümmern und dafür verantwortlich sein ?

Ist das Sondervermögen auch noch so groß, besonderes Unvermögen lässt sich damit nicht heilen. Während das Verteidigungsministerium einen Ernstfall in der nahen Zukunft als Realität in Erwägung zieht, ist dieser im Gesundheitswesen hier und jetzt eingetreten. Hierzu bedurfte es weniger der zunehmenden Cyberangriffe auf klinischen Einrichtungen und deren digitaler Schutzlosigkeit, sondern eines permanenten Friendly Fire aus der eigenen regierungsnahen Gesundheitspolitik. Wie bei innerer Sicherheit, Klimakrise, Verkehrswende usw. ist Papier geduldig, so auch die Ausführungen zur Gesundheitspolitik im Koalitionsvertrag. Die angesagte Digitalisierung ist weiterhin nur Stückwerk, zum Teil in laienhaft anmutender Ausführung und von einem hohen kognitiven Reifegrad weit entfernt. Bereits die Kombination von e-Rezept und elektronischem Medikationsplan stellt eine intellektuelle Überforderung dar. Von der technischen Umsetzung ganz zu schweigen. So kann nur jemand über die helleren Köpfe der Betroffenen entscheiden, der niemals über einen signifikanten Zeitraum hinweg als Krankenhausarzt, MFA, in der Pflege oder als selbstständiger Haus- oder Facharzt gearbeitet hat.

In diesem Qualifikationsdiskurs darf die unmittelbar bevorstehende Freigabe von Cannabis nicht unerwähnt bleiben. Auch hier stellt sich wieder einmal fraktionsinterne Ideologie über die außerparlamentarische Fachexpertise und deren Bedenken bzgl. absehbarer Schadensregulierungen.   

Das mangelhafte gesundheitspolitische Ergebnis liegt direkt vor unseren Augen: Statt einer Krankenhausreform erleben wir eine regelrechte Destruktion der Kliniklandschaft ohne Berücksichtigung des lokalen und regionalen Bedarfes an medizinischer Versorgung. Zeitgleich dünnt sich das ehemals wohnortnahe und flächendeckende Haus- und Facharzt – Netz zunehmend aus. Als bundesweiter und fachübergreifender Berufsverband kann der BAO diese Entwicklung sehr gut einschätzen. Wie in der Beurteilung der Krankenhausreform die Zahl an Klinikinsolvenzen als Kennziffer dient, so veranschaulicht in der niedergelassenen Fachärzteschaft die Zahl an aus Altersgründen aus Berufsverbänden ausscheidenden Mitgliedern den Schwund an fachärztlicher Versorgung. Die wenigsten dieser Kolleginnen und Kollegen finden Nachfolger, viel Kassenarztsitze gehen an MVZ und damit geht der ehemals versorgungsrelevante Standort verloren. Mindestens ein Drittel der betroffenen Praxen findet keine Nachfolge. Diese bedrohliche Entwicklung ist das Resultat der von Professor Lauterbach seit 20 Jahren bei vielen Gelegenheiten immer wieder geübten Verunglimpfung von Facharztpraxen als doppelt – ergo überflüssig. Er fordert wie Ulla Schmidt ff. SPD die

Krankenhaus – zentrierte fachärztliche Patientenversorgung; nun ist er dank seines Amtes seinem Zielbahnhof ein deutliches Stück nähergekommen. Die ersehnten Polikliniken der Vergangenheit sind in Gesundheitskioske umbenannt.

Für den letzten Streckenabschnitt hat sich der Minister ein besonderes Kunststück einfallen lassen. Vordergründig gab er Ende 2022 dem Drängen ampeleigener gesundheitspolitischer Vernunft nach und ließ eine sektorengleiche Vergütung ambulant erbrachter medizinischer Leistungen durch Kliniken und Praxen in einem neuen Gesetzesparagraphen (§115f, SGB V) zu. Wenn er diesen aktuell von Wissenschaftlern und vom BAO seit 30 Jahren! eingeforderten Paradigmenwechsel schon nicht verhindern konnte, hat Lauterbach ihn hinausgezögert. Per Ermächtigung und Rechtsverordnung hat er ein Abrechnungschaos vorgeschaltet, das den begrenzten Start der sogenannten Hybrid DRG zum 1.1.2024 hat zum Fehlstart hat werden lassen. Diese Eigenmächtigkeiten und unkontrollierten Handlungsbefugnisse schaden unserem Gesundheitssystem und somit der gesamten Bevölkerung. Auch das regelmäßige Aufkochen von Neiddebatten bezüglich Ärzteeinkommen oder der Überprivilegierung von Privatpatienten kann das Ausmaß der politischen Fehlentscheidungen des BMG unter seiner Leitung nicht mehr überdecken. Warum finden Praxen keine Nachfolger, wenn doch so hohe Einkommen winken, und wieso nützt auch der Status Privatpatient nicht mehr, wenn die Nothilfen überfüllt und die Vergabe von Sprechstundenterminen nicht mehr möglich sind wegen Ausschöpfung der personellen und strukturellen Ressourcen.

Als wenn der Schaden in der ärztlichen Versorgung nicht schon groß genug wäre – allein 2023 verschwanden 500 Apotheken aus der Versorgungslandschaft. Es ist absonderlich, wenn der letzte parlamentarische Hinterbänkler fehlerfrei den Begriff demographischer Wandel vorsagen kann, aber nicht imstande ist, die alters- und generationengerechten Bedürfnisse unserer Gesellschaft wahrzunehmen und in seine Erwägung konstruktiv einzubeziehen. Exakt dies würde eine verantwortungsvolle Gesundheitspolitik definieren. Mit und ohne Regierungsverantwortung.

Ein Ausweg aus der Misere ist eine, wie vom BAO seit 30 Jahren gefordert, kontinuierliche Verlagerung von unnötigen, aber für das wirtschaftliche Überleben von Kliniken wichtigen stationären Behandlungen in ambulante Versorgungsstrukturen, unabhängig davon, ob in Klinik oder Arztpraxis angesiedelt. Wichtig ist, dass während dieser Transformation hohe medizinische Standards der Versorgungsqualität sowie der Patientensicherheit garantiert sind.

Diese Forderungen sind wiederum nur erfüllbar, wenn ein realer Kostenausgleich für die erforderlichen Strukturen und Prozessabläufe politisch gewährleistet wird. Dazu bedarf es einer aktiven Unterstützung des Transformationsprozesses bei den Kliniken und einer Stabilisierung der ambulanten Versorgung durch Haus- und Facharztpraxen. Dieser Prozess könnte bereits seit Jahren in Gang gesetzt sein, wenn jemals der ernsthafte Willen bestanden hätte, Worthülsen auch mit Inhalten zu füllen. Wer spätabends über Talkshows mit seinen Mitarbeitern kommuniziert und die Ärzteschaft in bildungsfernen Medien diskriminiert, bekennt unmissverständlich, indoktriniert zu sein. Er nimmt damit im Bewusstsein seiner politischen Sinne in Kauf, dass in Regionen, in denen die medizinische Versorgung weggebrochen ist, auch das Vertrauen in demokratische Strukturen im Rückzug begriffen sein könnte.

Statt auf sich Bund – Länderebene ideologiefrei um einen tragfähigen Konsens unter Berücksichtigung aller! Leistungserbringer zu bemühen, geht der Minister regelmäßig in Konfrontation zu seinen LänderfachkollegInnen. Oppositionsparteien benutzen die Gesundheitspolitik bislang nur, um fundamentale Oppositionspolitik zu betreiben. Alles auf dem Rücken der Bevölkerung und der Gesundheitsberufe.

Der BAO ruft deshalb alle auf Landes- und Bundesebene verantwortlichen Gesundheitspolitiker auf, sich endlich gemeinsam den soeben beschriebenen Aufgaben zu widmen und diese demokratisch abzuarbeiten.

Patienten und Wähler rufen wir auf, bereits bei den anstehenden Landtagswahlen in diesem Jahr die Gesundheitspolitik zu einem wichtigen Baustein ihrer Wahlentscheidung werden zu lassen.

X = Ihr Kreuz ist wichtig!

Dr. med. Christian Deindl, MBA , Präsident des BAO                                            

Dr.med. Axel Neumann, Vizepräsident des BAO


Der BAO vertritt mit den assoziierten Verbänden der Zukunftsgruppe Ambulantes Operieren 2022 zirka 4.500 Fachärzt*innen.

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