Kolumne

Inhaltsverzeichnis

Nach der Wahl - zur Gesundheitspolitik, von Dr. med. Christian Deindl vom 09.11.2021

Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte interessierte Leserschaft und Freunde des ambulanten Operierens

Der Wähler Würfel sind gefallen und es zeichnet sich erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eine Drei – Parteien – Koalition und somit auch eine in Teilen personelle Neugestaltung von Ministerämtern ab. In diesem demokratisch gewollten Neustart liegen Chancen und Risiken zugleich.

Die Chancen wären realistisch klug genutzt, wenn persönliche fachliche Fähigkeiten und Integrität den Ausschlag dafür geben, und zwar in jeder Partei und für alle infrage kommenden Positionen. Vor allem jüngere, unverbrauchte und dennoch berufs- und lebenserfahrene politische Gesichter und Köpfe sind gefragter denn je, auch um bisherige meist parteipolitisch gewollte und von persönlichem, fehlgeleiteten Ehrgeiz mitgetragene Projekte zur regelrechten Vernichtung von Steuermilliarden ein Ende zu setzen. Im Gegenzug müssen ehemals bewährte Strukturen in unserer Gesellschaft wie ein funktionierendes Bildungssystem und eine flächendeckende medizinische Versorgung wiederhergestellt, in Zukunft bewahrt und kontinuierlich bedarfsgerecht gestärkt statt kaputtgespart werden, statt einer weiteren qualitativen und quantitativen Abwärtsspirale das große Wort zu reden und Ordnungspolitik immer mehr zu Talks und Shows verkommen zu lassen. 

Dabei gilt es primär, zeitnah und nachhaltig die seit Jahren von ärztlicher Seite sowie von den Vertretern der Pflegeberufe und der Patienten hinreichend mündlich und schriftlich benannten Defizite zu beseitigen. Dieses gelingt aber nur, wenn gleichzeitig ideologisch ausgehobene Gräben überwunden und Mauern der Beratungsresistenz abgetragen werden. Die politische Wagenburgmentalität der vergangenen Jahre muss ihr überfälliges Ende finden. Deren Urheber zeichnen vor allem dysfunktionale und diskontinuierliche Erwerbsbiografien sowie entsprechend

unkoordiniertes politische Handlungsmuster aus, deren die meisten Mitbürger inklusive Ärzteschaft inzwischen mehr als überdrüssig sind. Der bundesweit plakatierte Respekt sollte auch auf dem gesundheitspolitischen Personaltableau klar und deutlich erkennbar sein. Eigentlich eine der einfacheren Koalitionsübungen. 

Die absehbaren Risiken wiederum liegen wie schon so oft bewiesen im glatten Gegenteil zu diesen genannten Minimalanforderungen an eine seriösen und dem Allgemeinwohl dienenden (Gesundheits-)Politik. Niemand ist komplett fehler- und somit komplikationsfrei, aber sowohl gesundheitspolitische Entscheidungsträger als auch die für und am Patienten wirkenden Leistungs- und Kompetenzträger aus Pflege und Ärzteschaft sollen und müssen gleichermaßen empfänglich dafür sein, sich abzeichnende Fehlentwicklungen rechtzeitig zu erkennen, diese abzustellen bzw. gezielt vorzubeugen und dabei stets offen für andere, kompetent vorgetragene Meinungen zu bleiben. Mediale Luftnummern wie die prahlerische Ansage von 20.000 neuen Pflegekräften sind in diesem Kontext wenig hilfreich und beleidigend, wenn man um den beinahe schon globalen Mangel an qualifizierten Pflegekräften weiß. Praxen werden immer mehr Ressourcen intensive Leitungs- und Steuerungsinstrumente exakt von den Institutionen vorgeschrieben, die selbst davon an ihrer eigenen Wirkungsstätte am wenigsten umzusetzen vermögen.

Wäre dies nämlich der Fall, dann wäre eine respektvolle Kommunikation auf Augenhöhe mit Vertretern der in der täglichen Patientenversorgung engagierten Fachärzte mit der Gesundheits-politik und den in deren Windschatten nicht weniger kompromisslos agierenden gesetzlichen und privaten Kostenträgerschaft bereits gelebter Alltag. Wie sonst lässt sich das ungenierte Hinauszögern einer mehr als überfälligen GOÄ-Reform denn überhaupt noch erklären.

Ganz abgesehen davon, dass die unausgesprochene Prophezeiung im Raum steht, man wird sich noch gerne an die bisherige GOÄ zurückerinnern, falls doch endlich gesetzgeberisches Handeln angesagt sein sollte. Was nützt eine noch so sorgfältig betriebswirtschaftlich kalkulierte EBM-Honorierung, wenn am Ende in politischen Hinterzimmern nicht zum ersten Mal ein der ärztlichen Leistung und den damit einhergehenden Kosten angemessener Punktwert nahezu halbiert wird. Sehr respektvoll und überzeugend klingen solche Szenarien nun wirklich nicht und müssen ein für alle Mal der Vergangenheit angehören. 

Folglich wird für das Gesundheitswesen und somit auch für uns Ärzte – wieder einmal – entscheidend sein, wer die Nachfolge im Amt des Bundesgesundheitsministers antritt, um als einer der ersten Amtshandlungen unter der indiskutablen Bilanz des unbelehrbaren Noch – Amtsinhabers endlich einen kräftigen Schlussstrich zu ziehen. Nicht weniger indiskutabel wäre die Fortsetzung der bisherigen Dauerfolge an Fehlbesetzungen und fehlerbehafteten Spitzenpositionen nicht nur des Bundesgesundheitsministeriums mit seinem offen zur Schau gestellten gesundheitspolitischen Analphabetismus in Kombination mit Ignoranz und Arroganz als Zeichen bewusst gelebter politischer Respektlosigkeit. Wer mit diesen Zutaten sein persönliches politisches Süppchen kocht, sollte dieses bitte außerhalb eines freiheitlich-demokratisch strukturierten und gelebten Gesundheitssystems feilbieten.

Wie kaum in einem anderen gesellschaftlichen Umfeld bekommen diesen Mix an genannten Inkompetenzen im medizinischen Versorgungsalltag Patienten, Pflegende und Ärzte fach- und sektorenübergreifend täglich zu spüren; u.a. mit dem hochaktuellen Resultat, dass nach dem bisherigen wellenartigen Pandemieverlauf noch weniger (Intensiv-) Pflegekräfte zur Verfügung stehen als bereits vor Corona. Was nützt deshalb die Zahl an freien Intensivbetten als Kennzahl des Pandemiegeschehens, wenn das dazugehörige Personal einfach vorausgesetzt, aber nicht nachgezählt wird. Unter diesen Umständen ist nicht nur die rote Krankenhaus-Ampel angezeigt, sondern auch die dunkelrote Karte inklusive Platzverweis. Und von dieser Option hat der überstrapazierte Wählerwille im übertragenen Sinne auch zu Recht Gebrauch gemacht, nicht ohne dabei eineinhalb Jahre Coronaverlauf als Videobeweis herangezogen zu haben.

Mit ähnlicher Ungenauigkeit und organsierter Verantwortungslosigkeit werden auch andere gesundheitspolitische Entscheidungen getroffen wie die Verweigerungshaltung, Praxen ihre seit 10 Jahren steigenden Hygienekosten infolge von staatlich erlassenen Hygienegesetzen zu ersetzen. Gegen jeden Respekt und politischen Anstand wird der Öffentlichkeit und den gesetzlich Krankenversicherten wie auch den Privatpatienten der Eindruck vermittelt, Ärzte wollten lediglich nur ihr Einkommen ungeniert und auf billige Weise kräftig erhöhen. GKV-Einmalzahlungen für Hygiene werden bundesweit summiert und somit als hoher zweistelliger Millionenbetrag der Öffentlichkeit präsentiert und aus Kalkül nicht mit der Anzahl an Praxen in Deutschland dividiert.

Gleichzeitig werden im politischen Darkroom Maskendeals vollzogen, deren Provisionen den Jahresumsatz vieler Praxen überschreiten, für deren Ärzte die Annahme eines Billig-Schreib-gerätes bereits als hochkrimineller Akt der Bestechlichkeit zu gelten hat. Während die gesamte Corona-Pandemie hindurch Regressverfahren oft mit wahrheitswidrigen Begründungen gegen Ärzte munter weiter betrieben werden, erfüllen o,g. Provisionen nicht einmal die Kriterien einer Straftat, sondern sind  vielmehr Ausdruck privilegierten politischen Insiderwissens und damit einhergehender ungeahnter Wirtschaftlichkeitsreserven eines von unnötigem moralischen und ethischen Ballast befreiten wachsenden, arzt- und patientenfernen Gesundheitsmarktes. Transparenz verstört und stört nur diese bestens vernetzten Kreise, in deren Mittelpunkt Patienten, Pflegende und Ärzte schon lange nicht mehr stehen. Letztere stehen vielmehr lästig im Weg oder bestenfalls am Rand dieser ökonomischen Erfolgs- und Überholspur. 

Wieder einmal reibt sich Club der Steuerzahler die Augen, wenn der staatlich organisierte Kauf von Schutzmasken so perfektioniert abläuft, dass 5 Masken (Made in China) den errechneten Gegenwert in Form der durchschnittlichen Hygienekosten einer ambulanten Operation (Made in Germany) entsprechen. Die Masken wurden preisgünstiger und somit wieder provisionsfrei, die Hygienekosten bleiben hingegen konstant hochpreisig und weiterhin von den Kostenträgern und von staatlicher Seite als nicht existent und somit als nicht erstattungswürdig erachtet.

Nicht weniger realitätsfern werden weder von Politik noch Kostenträger erkannt und gewürdigt, warum die wenn auch in Teilen suboptimale Bewältigung des immer noch sehr präsenten Pandemiegeschehens trotz eines zuvor bereits angeschlagenen, weil politisch mutwillig beschädigten Gesundheitswesens, überhaupt funktionieren kann. Nur so lässt sich der einmal eingeschlagene gesundheitspolitische Holzweg konsequent fortsetzen und die Unverzichtbarkeit von niedergelassenen Fachärzten mit und ohne Pandemie weiter regelrecht leugnen und die Verweigerungshaltung nicht nur in der Frage der Hygienekosten als vermeintlichen politischen Erfolg verkaufen.

Als Kinderchirurg weiß ich aus der täglichen Praxis abzuschätzen, wann ein solches die Realität verkennendes Verhalten noch altersgemäß ist und ab wann kognitiv vorauszusetzen ist, sich nicht mehr die Hände vor die Augen zu halten und zu glauben, von der Welt herum nicht erkannt zu werden, bloß weil man selbst auch nichts sieht. Dieser kleine Exkurs in die frühkindliche Entwicklung gibt anschaulich die Entstehungsgeschichte der Hygienekosten-Erstattung und der Verweigerungshaltung von Politik und Kostenträgern wieder. Wer sich auf so retardierter Weise seiner sozialpolitischen Verantwortung zu entziehen glaubt, kann natürlich mit geschlossenen Augen das bereits 2015 dazu veröffentlichte BAO-Hygienegutachten nie wirklich gelesen haben.

Deshalb sei an dieser Stelle auf die erneuten SPIFA-Hygieneaktion hingewiesen. Die Fach-disziplinen Urologie und Gastroenterologie sind mit der Reduzierung ihrer chronisch defizitären ambulanten Endoskopien Beispiel gebend. Bei jeder medizinischen Prozedur, deren Kosten nicht komplett in der Vergütung eingepreist sind, wird der behandelnde Arzt zum Selbstzuzahler seiner eigenen Leistung degradiert und somit in eine „Schein“-Selbständigkeit gezwungen.

Darüber hinaus erinnert der BAO in diesem Zusammenhang nochmals an die bisher ungenutzte Möglichkeit der konsequenten Rechnungsstellung über die Hygienemehrkosten an die jeweilige gesetzliche Krankenkasse eines ambulant operierten Patienten nach erfolgtem Eingriff.

Bei ausreichend hoher Beteiligung von ambulanten Operateuren und Anästhesisten in ihrer Funktion als AOZ-Betreiber werden Reaktion und Konsequenzen der Krankenkassen medial offengelegt werden im Sinne eines GKV-Benchmarkings.

Unsere klare fachärztliche Botschaft an Politik und GKV muss lauten: weiterhin unter dem grünen Tisch geschützt vor den Augen der Öffentlichkeit Hygienekosten zu leugnen geht gar nicht. Und damit hat dieses bisher einseitig für Kassen und Politik erfolgreiche gesundheitspolitische Geschäftsmodell, das leichtfertig im vollen Bewusstsein der eigenen Verantwortungslosigkeit die Existenz von Facharztpraxen und ambulanten OP-Einheiten gefährdet, sein überfälliges und wohlverdientes Ende gefunden. Ein trotziges weiter so bedeutet in letzter Konsequenz das absehbare Ende einer ehemals flächendeckenden Patientenversorgung in der Peripherie und in Ballungszentren.

Für die gesundheitspolitisch Verantwortlichen in einer frisch gewählten Bundesregierung beststeht mehr denn je dringlicherer Handlungsbedarf als bisher bereits der Fall ist. Es sei denn, sie übernehmen die weitere Verantwortung für ihr dann verantwortungsloses Verhalten und bekennen sich erstmals öffentlich dazu, indem sie zu verstehen geben, dass die Mehrkosten der politisch angedachten und angesagten Ambulantisierung des Gesundheitswesens erneut auf die niedergelassenen Ärzte abgewälzt werden mit den bewährten Pseudoausreden Beitragsstabilität, Sozialquote usw. und dem Kalkül, sich damit den indifferenten paritätischen Beifall von Arbeitgeber und -nehmer zu sichern. Dabei stellt gerade ein chronisch unterfinanziertes Gesundheitswesen für den Wirtschaftsstandort Deutschland inklusive seiner Arbeitsplätze einen ebenso ernsthaften Risikofaktor dar, wie ein gut funktionierendes, weil mit den dafür notwendigen Ressourcen ausgestattetes Gesundheitswesen ein wichtiger Garant für die Stabilität unseres Wohlfahrtsstaates ist.

Wozu im Fall einer Fortführung der bisherigen gesundheitspolitischen Fehlerkultur und eines weiteren unverhohlenen Fehlens an jeglicher gesundheitspolitischen Kultur, dann allerdings die Neuwahlen 2021 gesamtgesellschaftlich nützlich sind, entzieht sich in dieser – hoffentlich nur hypothetischen Konstellation – wahrscheinlich nicht nur meiner Erkenntnis.

Waren ordnungspolitische Defizite und suboptimale Rahmenbedingungen bereits lange vor Corona als ein zunehmender Hemmschuh für die Arbeit in Praxen und Kliniken noch nicht in ihrer gesamten Tragweite an die Öffentlichkeit gelangt, so befördert die Corona – Pandemie diese Missstände gnadenlos an die Oberfläche. Und dennoch war und ist der zu erwartende Lernerfolg bis in die Gegenwart bei den politisch dafür Verantwortlichen nur marginal. Ungeachtet des unverminderten Ernstes der Gesamtlage werden – sogar über den Wahlkampf hinaus – weiterhin parteipolitisches Kalkül und persönliche Selbstoptimierung mit den eigentlichen politischen Aufgaben vermengt. So treten Gesundheitspolitik und in ihrem Gefolge eine wachsende Zahl an Pseudo-Gesundheitsexperten, Hof-Epidemiologen et al. weiterhin den allabendlichen Marsch durch die medialen Institutionen an. Selten kommen dabei Ärzte mit praktischer Erfahrung zu Wort. Und nicht weniger selten erfüllen Funktionäre die an sie gestellten Anforderungen.  

Nachdem sich ein globales, deshalb auch Pandemie benanntes Virus nicht einfach an der Grenze zwischen staatlichen Territorien vorbeiwinken lässt, war mit dieser primären eklatanten Fehlein-schätzung der Grundstein zu einem regelrechten Turmbau – Wettbewerb an Erst-, Zweit- und Dritt – Meinungs-Bubbles gelegt mit bis in die aktuelle Gegenwart gepflegten Widersprüchen innerhalb von Regierungen auf Bundes- und Landesebene, aber auch innerhalb der Ärzteschaft. Diese hatte sich bislang mehrheitlich dadurch ausgezeichnet hat, dass lediglich chronisch geltungs-bedürftige Funktionäre der (Sich)Selbstverwaltung sich arg weit mit ihrer Einzelmeinung aus dem Fenster lehnen.

Die eigentlichen Experten treten mit ihrer Expertise meist immer erst dann an die Öffentlichkeit, wenn ihre Ergebnisse und Empfehlungen einer wissenschaftlichen Diskussion auch standhalten und somit allenfalls mit besseren objektiven Kriterien widerlegt werden können. Mit Corona erfolgte eine mediale Zäsur in diese Wissenschaftstradition und seitdem hält sich die Politik für die eigentliche Krönung allen problemorientierten Denkens. Diese typische Verwechslung von Problem und Lösung, von Ursache und Wirkung ist keine Entdeckung und Erfindung der Neuzeit, aber in Zeiten einer globalen Pandemie ein nicht zu unterschätzender Hochrisikofaktor.

Bisher entwickelte sich medizinischer Fortschritt nach anerkannten wissenschaftlichen Prinzipien und nicht nach politischen Launen, und stellt sich nicht nur als zivilisatorische Errungenschaft, sondern auch als wichtiger Grundpfeiler für unsere Lebensqualität und Lebenserwartung dar.

Gesundheitspolitisch und -ökonomisch hingegen wird medizinischer Fortschritt schon längst als Kostentreiber angesehen. Die einzelnen Entwicklungsschritte, wie man sie exemplarisch von Impfstoffen und deren Einsatzfreigabe her kennt, glaubten Gesundheitspolitiker in diesem mit verursachten Pandemie – Chaos durch weitere politisch verheißungsvoll klingende Schlagworte wie der imaginäre Impf-Turbo überspringen und ersetzen zu können. Aus heutiger Sicht entpuppten sich viele dieser Schlagworte eher als gesundheitspolitische Schlaglöcher, in denen so manches mediales Transportmittel für angesagte gesundheitspolitische Großtaten und Verheißungen Achsbruch erlitt.

Vor diesem Hintergrund war das anfänglich deutlich höheren Umfragewerten zuwiderlaufende Wahlergebnis des zweimalig größeren KROKO – Koalitionspartners auch den geschilderten Erfahrungen und Eindrücken geschuldet, welche von der wahlberechtigten Bevölkerung zunehmend kritischer wahrgenommen werden. Aber nicht einmal zu dieser simplen Erkenntnis ringen sich die dafür parteipolitisch Verantwortlichen durch, sondern man redet sich auf den Umstand hinaus, man habe eben auf den falschen Kandidaten gesetzt. Und übersieht dabei großzügig, dass die personelle Alternative nur optisch größer wirkte, in der Realität des Wahlergebnisses aber ebenfalls ein deutliches und persönliches Minus im eigenen und merkwürdigerweise einzig dafür zugelassenen Bundesland eingefahren hat. Gerne möchten der verschmähte Kandidatenkandidat und sein in Personalunion geführtes süddeutsches Bundesland in allen ihren Aktivitäten die Nummer Eins sein, aber in welcher eigentlichen Königsdisziplin bleibt dabei eher zweitrangig.

So stört sich niemand ernsthaft daran, dass Deutschland und auch sein südlicher Ausläufer auf dem Gebiet des ambulanten Operierens im internationalen Vergleich eher die Rolle des Schlusslichtes statt eine Leuchtturmfunktion einnehmen. Gleichzeitig werden hohe und steigende stationäre Behandlungskosten beklagt, hohe ambulante Hygienekosten in Praxen als bereits bezahlt abgetan und die weitere Etablierung des ambulanten Operierens nach allen Regeln der politischen Kunst torpediert. Die aktuell in die Schlagzeilen geratene Ambulantisierung der Medizin soll wohl nach dem gleichen Handlungsmuster über die Bühne gehen und niedergelassene Ärzte und Praxen zu bloßen Ausführungsgehilfen im Dienste hoh(l)er Regierungskunst degradieren unter abermaliger Umgehung der für eine transsektorale Medizin erforderlichen zusätzlichen Ressourcen.

Da nun die eigenverschuldeten Wahlverlierer nicht an der zu Beginn erwähnten Ausgabe an Ministerämtern beteiligt sind, streitet man sich halt um die Aufrechterhaltung bzw. Beendigung des Pandemiestatus. Einer der Hauptverantwortlichen dieses auch gesundheitspolitisch mitzuverantwortenden Wahlausganges schielt bereits nicht nur ophthalmologisch bedenklich und trotz seines Mitwirkens am Wahlmisserfolg nach dem zuvor angesägten Parteivorsitz. Sein hinterlassenes Trümmerfeld müssten schon andere aufräumen, unter anderem auch wir niedergelassenen selbständigen Fachärzte.

Um das Gesundheitswesen wieder in die richtige Spur zu bringen, muss endlich mit dem Mythos aufgeräumt werden, das Amt des Bundesgesundheitsministers sei eines der schwierigsten überhaupt und ein regelrechtes politisches Himmelfahrtskommando, weil man nur auf Widerstände bei allen Akteuren stößt. Gerne wird auch der Vergleich mit einem Haifischbecken herangezogen. Dabei sind in Bezug auf ihre fachliche Kompetenz gesundheitspolitische Nichtschwimmer oft bereits im Planschbecken reichlich überfordert. Dieses abwechselnd in Schwarz, Rot und Gelb – vielleicht auch bald in Grün – glänzende Phänomen zieht sich seit Seehofers Zeiten durch dessen gesammelte gesundheitspolitische Nachkommenschaft hindurch. Nicht sachdienliche, sondern wild um sich schlagende Argumente rechtfertigen, ideologisch unterschiedlich motiviert in das Gesundheitswesen und dessen Strukturen gehörig einzugreifen. Allein die Praxisgebühr hat nur zwei Dinge bewirkt bzw. angerichtet: Chaos und zusätzliche Bürokratie bei fließenden Übergängen. Aber mit dem tieferen Hintersinn, Sand ins Getriebe der Praxen und in die Augen der Wählerschaft zu streuen. Ressorttaugliche Vorkenntnisse sind bei einem derartig queren politischen Denken und ministeriellen Amtsmissverständnisses eher hinderlich als förderlich.

Deshalb sollen sich die potenziellen Nachfolger, wenn möglich bereits vor ihrem Amtsantritt endlich von diesem bösen Ärzte – Märchen befreien und unvoreingenommen ihr Amt antreten. Nach diesem Amtsvorgänger bedarf es keiner überirdischen Fähigkeiten, um bereits in kurzer Zeit für Patienten, Pflegende und Ärzte nach objektiven Kriterien handelnd positiv aufzufallen. Dazu wird auch ein gewisses Maß an Fähigkeit zur Mediation zählen mit dem erklärten Ziel, GKV und zunächst einmal Berufsverbände wieder an einem gemeinsamen Besprechungstisch zu bringen. Es kann nicht weiter angehen, dass täglich über 1 Milliarde € im Gesundheitswesen ohne große Nachhaltigkeit ausgegeben werden und gleichzeitig bewährte Versorgungsstrukturen bis in die Peripherie hinein wie chirurgische bzw. anästhesiologische Praxen und ambulant operierende Einheiten chronisch unterfinanziert bleiben und darüber hinaus für staatlich angeordnete Mehr-  Ausgaben wie zum Beispiel die Hygienekosten oder kostenintensive Maßnahmen durch Coronaregeln alleine die selbständigen niedergelassenen Fach- und Hausärzte aufzukommen haben. So wird ambulante Facharztmedizin und vor allem in der Chirurgie sowie anderen operativen Disziplinen zu einer Selbstzuzahler-Leistung für die behandelnden Ärzte bleiben.

Gaben sich frühere Ärztegenerationen bei ähnlich existenziell unangenehmen Situationen im beruflichen Umfeld mit der inneren Emigration zufrieden, so lässt sich die nachkommende Ärzteschaft erst gar nicht auf dieses in vivo-Experiment ein und sucht berufliches Exil außerhalb einer Kassenarztexistenz. Wahrscheinlich trifft dieser Teil an seinem neuen gewählten Wirkungsort auf dem ständigen ökonomischen Druck und der nichtmedizinischen Fremdbestimmung entflohene Klinikärzte. Wenn nun jeder ausgebildete Facharzt sein Heil als Angestellter in einem MVZ sucht, wer trägt in diesem die medizinisch-ärztliche Verantwortung sowie das unternehmerische Risiko und trifft in beiden Bereichen die richtigen Entscheidungen, wenn nicht wie bisher der selbstständige und freiberufliche Facharzt? Aber vielleicht ist die Investorenlobby bereits weiter in diesen nur für Nichtmediziner hochlukrativen Gesundheits-markt vorgedrungen als die Politik zugeben will und sich Patienten und Ärzte sowie Pflegeberufe vorzustellen vermögen. Wer wie in Bayern geschehen als verantwortlicher Politiker statt einenTeil der 20 000 versprochenen neuen Pflegekräfte einzustellen lieber 30 000 staatliche Sozialwohnungen samt deren Bewohner an private Kapitalgesellschaften verkauft, der beantwortet bereits überdeutlich die Frage, wohin die Reise unseres Sozialstaates und seines Gesundheitssystems zu gehen hat und wie viel unbeschwerter es sich als Politiker ohne Respekt vor den Mitmenschen leben lässt.

Um in diesen richtungsweisenden Prozess noch regulierend einzugreifen, möchte ich nochmals auf das Anforderungsprofil des nächsten Gesundheitsministers zurückkommen und den beherzten Griff in die Schubladen des Amtsvorgängers empfehlen. Erwartungsgemäß finden sich unbeachtet gebliebene Pandemie – Pläne, stapelweise Petitionen und Protestschreiben, darunter sicher auch das BAO-Hygienegutachten aus 2015, in tieferen Papierschichten das vom BAO initiierte Oberender – Gutachten aus 2010 über die ökonomischen Vorzüge des ambulanten Operierens; jedes dieser Fundstücke besitzt hohe Aktualität dank bisheriger gesundheits-politischer Tatenlosigkeit. Das eine oder andere ungelesene Exemplar des Chirurgen – Magazins und der BAO – Depesche wird sicher auch dabei sein im ungelesenen Spahn`schen Nachlass.

Nach absolviertem ministeriellem Selbststudium aus diesem reichhaltigen Informationsfundus wird die Qualität unserer täglichen chirurgisch – operativen und anästhesiologischen Arbeit und die daraus abgeleiteten berechtigten gesundheitspolitischen Forderungen auf selbsterklärende Weise ersichtlich.

Der aktuell von der Bundesärztekammer an die zukünftige Koalition gerichtete 12 Punkte umfassende Forderungs- und Maßnahmenkatalog ist richtig, nicht zufällig oder überraschend überschneidet er sich an vielen Stellen mit einem die Problemzonen in unserem Gesundheits-wesen detailliert erfassten und an die Bundeskanzlerin adressierten BAO-Schreiben, erstellt bereits im September 2013 während der damals schon langwierigen KROKO I-Verhandlungen. Der Hinweis auf die bereits damals desolaten Arbeitsbedingungen für Pflegende wurde ebenso wie die angezeigten Lösungswege ignoriert. Pflege- und Ärztemangel sind wahrlich keine schicksalshaften Unglücksfälle, sondern bewusst herbeigeführte Gefährdungspotenziale. So gesehen war diese Wahl auch ein gesellschaftliches Abschluss- und Armutszeugnis für gesundheits- und sozialpolitisch offen zur Schau gestelltes Desinteresse und gesellschafts-politische Richtlinieninkompetenz.

Der Union – Kanzlerkandidat scheiterte weniger an sich als vielmehr wegen dieser gesundheitspolitischen und weiteren sozialpolitisch toxischen Altlasten, die nun sorgsam und Schritt für Schritt im Team mit uns Ärzten abgebaut und entsorgt werden müssen. Im Übrigen lassen ein derartig nachlässiger Umgang und mangelndes Verständnis bzgl. des geleisteten Amtseides jedes noch so lösbare Problem automatisch zur Krise und diese zum Vehikel der eigenen Selbstüberschätzung werden. Darüber täuschen auch keine noch so medienwirksamen Abschiedstourneen hinweg. Vielmehr wird in kollektiver Erinnerung bleiben, dass nun der kritische Punkt erreicht bzw. bereits überschritten ist, an dem die wiederholt bewusst verzerrte politische Wahrnehmung von Pflegenden und Ärzten sowie nicht weniger unqualifizierte manipulative Eingriffe in die komplexen Abläufe in Praxen und Kliniken dazu führen, dass die daraus entstandenen und bereits mehrfach angesprochenen Nachteile frühere positive und weltweit anerkannte und bewunderte positive Aspekte unseres Gesundheitssystems  bereits aufgezehrt haben.

Für die zeitnahe Aufarbeitung dieser Hinterlassenschaft und den zügigen Abbau des aufgelaufenen Gesprächs- und Diskussionsstaus steht der BAO weiterhin als kompetenter Gesprächspartner zur Verfügung.

Dr.med. Christian Deindl

Zum BAO-Workshop am 12.09.2021, von Jörg Hennefründ

Zum BAO-Workshop am 12.09.2021, von Jörg Hennefründ

Der Sonntag auf dem NARKA war ein dejá vu der 90er Jahre:

Gesellschaft, G-BA, insbesondere die dortigen Patientenvertreter haben die postoperative Schmerztherapie als verbesserungswürdig identifiziert. Und so hat dies ausdrücklichen Eingang in die QM-Bestimmungen des G-BA gefunden. Dass es dort Bedarf geben dürfte, ist aus wenigen Daten aus Krankenhäusern bekannt. Und bei den operierenden Vertragsätzten?

Wir mussten in den 90er Jahren belegen, dass wir mit Ambulantem Operieren, nicht die Patienten gefährden (Ja, wurde damals tatsächlich behauptet). So haben wir Daten gesammelt und auf unseren Kongressen vorgetragen. Insbesondere wurde mit AQS i eine Qualitätssicherung geschaffen, die bis heute als einzige auf Patientenantworten baut, während sonst immer die operierende Institution die Dateneingabe vornimmt. Und im Gegensatz zum normalen QM, das meist nur eigene Patienten erfasst, gibt es hier einen externen benchmark, der uns seit Jahrzehnten (!) zurückgespiegelt wird. Das blieb nicht ohne Folgen: 98% der ambulant operierten Patienten sind mit der Praxis zufrieden.  Bei Befragungen der AOK und TK bei stationären gelten über 80% Zufriedenheit als Erfolg.

Wir wissen dies, da wir aber nicht universitäre Publikationsmechanismen haben, sind diese Fakten über Literaturrecherchen nicht zu finden und damit für die politische und wissenschaftliche Wirklichkeit inexistent.

Das Gleiche dürfte für die postoperativen Schmerzen gelten: wenn man ein Schmerzproblem nicht durch Verlegung auf die Station delegieren kann, überlegt man sich vorab, wie man das Problem besser vermeidet. Dann bekommt man das Aufwachbett schneller frei, kann früher nach Hause und bekommt nachts auch weniger Patientenanrufe. Vulgo: wir vertragsärztlichen Operateure sind überzeugt, dass wir das gut im Griff haben. Aber können wir das auch belegen? Und gibt es trotzdem noch Verbesserungspotential?

Das müssen wir analysieren und publizieren, auch wenn es mühsam ist. Es ist unsere fast einzige Chance in der Diskussion mit Politik und Kostenträgern in der aktuell extrem harten Atmosphäre.

Mussten wir also in den 90ern mit Daten belegen, dass wir die Patienten nicht gefährden, so brauchen wir dies jetzt, um für Gelder und gegen unnötige Auflagen zu kämpfen. Die Mittel sind die gleichen: Qualitätssicherung mit externen benchmarks, Rückkoppelung und Patientenfokussierung gelten als neueste Forderungen.  Wir waren und sind mit AQS I der Zeit weit voraus.

Brief an die Bundeskanzlerin vom 20.11.2013

Brief an die Bundeskanzlerin von Dr. med. Axel Neumann (Präsident des BAO) und Dr. med. Christian Deindl

Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin, sehr geehrte Frau Dr. Merkel,

zunächst möchten wir als Vertreter der niedergelassenen Chirurgen und der ambulanten Operateure Deutschlands Ihnen persönlich zu Ihrem beachtlichen Wahlerfolg gratulieren. Die damit einhergehenden neuen Mehrheitsverhältnisse im Bundestag bestärken Ihr politisches Ansehen und Ihren politischen Einfluss, weshalb wir uns mit gesundheitspolitischen und versor- gungswissenschaftlichen Vorstellungen direkt an Sie persönlich wenden. Denn gleichzeitig mit dem aktuellen politischen Zuspruch erwachsenen Ihnen, Ihren Ministern und Ihrer Partei, aber auch Ihrem zukünftigen Koalitionspartner ein hohes Maß an Verantwor- tung und Verpflichtung zur weiteren und kontinuierlichen Verbesserung der Lebensumstände und des Zusammenlebens in der Bundesrepublik Deutschland. Dazu zählt unbestritten unser Gesundheitssystem mit seiner flächendeckenden medizinischen Versorgung der Bevölkerung in Kliniken und durch freiberuflich tätige Ärzte.
Als niedergelassene Fachärzte mit Schwerpunkt Ambulantes Operieren und mit jahrelanger und täglicher Tätigkeit in unseren Sprechstunden möchten wir uns in diesem Schreiben auf wichtige Aspekte in der fachärztlichen ambulanten Patientenversorgung beschränken und Sie um Ihre geschätzte Aufmerksamkeit bitten.
Es zeichnet sich, wie für Patienten und unsere Gesellschaft täglich spürbar, die Entwicklung ab, dass aus Altersgründen ausscheidende Fachärzte keine Praxisnachfolger mehr finden, bzw. nur unter deutlich erschwerten Bedingungen. Wenn zeitgleich im näheren Umkreis kleinere Krankenhäuser schließen, bedeutet dies den Verlust einer flächendeckenden fachärztlich konservativen sowie ambulant operativen chirurgi- schen Versorgung.
Doch nicht mangelnde fachliche Attraktivität des Berufes eines Arztes, einer Krankenschwester oder eines Altenpflegers mit ihren jeweils hohen Ansprüchen an fachlichem Wissen, sozialer Kompetenz, ethischen Maßstäben und letztendlich lebenslanger Lernbereitschaft führen zu diesem Versorgungsdefizit. Dessen wahres Ausmaß wird übrigens schon seit Jahren durch den Einsatz von Fachkräften aus dem Ausland – wo diese dann ebenfalls schmerzlich fehlen – verschleiert. Kompensationsmechanismen führen zu einer nicht unerheblichen Verminderung in der Struktur- und Prozessqualität der Patientenversorgung.
So war es nur noch eine Frage der Zeit, wann auch die Ergebnisqualität parallel dazu erkennbar Einbußen erleiden wird. Die Tagespresse berichtet nun regelmäßig darüber, welche negativen Auswirkungen in den medizinischen Versorgungsalltag Einzug halten und welche erheblichen Folgen für die Patientensicherheit damit einhergehen.
Die frühen politischen Ursachen dafür beruhen auf bereits von der rot-grünen Vorgängerre- gierung bzw. der vergangenen großen Koalition getroffenen (Fehl-) Entscheidungen.
Es sind die jeweiligen Rahmenbedingungen, die erheblich dazu beitragen, ob sich jemand für die aktive Patientenversorgung vor Ort, in eigner Praxis, für eine tariflich abgesicherte Kranken- haustätigkeit oder aber für einen Arbeitsbereich völlig außerhalb der Patientenversorgung in Wirtschaft und Industrie entscheidet.
Wichtige Aspekte in diesem Kontext sind nach unserer Erfahrung mittel- und langfristige Planungssicherheit und Verlässlichkeit hinsichtlich der gesellschaftlichen aber auch der ökonomischen Wertschätzung medizinischer Arbeit. Beides vermissen freiberufliche und angestellte Operateure und Anaesthesisten gemeinsam!
Noch ist der Entschluss kassenärztlich und freiberuflich tätig zu sein eine berufliche und ökonomische Lebensentscheidung für jeden Arzt und seine Familie. Nicht selten hat diese beim plötzlichen Tod oder schwerer Erkrankung des Praxisinhabers unter unwürdigen gesetzlichen Bedingungen zu leiden. Die bisherigen und von Reform zu Reform weitergereichten Abrechnungsmodelle nach Punkten und deren jeweilige Vergütung im unteren einstelligen Cent-Bereich bedürfen dringend einer wirklichen Restrukturierung unter aktiver Mitsprache von uns niedergelassenen, selbstständigen und freiberuflichen Fachärzten. Wenn man Diskussionsbeiträgen von gesetzlichen Kassenvertretern Glauben schenken darf, dann war die erstmalige Festlegung auf den Orientierungspunktwert von 3,5 Cent auf eine Entscheidung im Kanzleramt zurückzuführen.
In diesem Zusammenhang muss ebenfalls sehr eindringlich darauf hingewiesen werden, dass auch unsere Mitarbeiter in den Praxen sowie medizinische Assistenz- und Pflegeberufe in den Kliniken gemessen an ihrer hohen Verantwortung, großen psychischen und physischen Belastung und kräftezehrenden Arbeitsbedingungen wie Schicht- und Nachtdienste so zu honorieren sind, dass ein ökonomisch gesichertes Leben gerade in überteuerten Ballungs- zentren inklusive der notwendigen Regenerationszeiten möglich ist.
Deshalb bedarf es des ersten und enorm wichtigen Schrittes weg von der bisherigen Abrech- nungs- und Vergütungsakrobatik nach EBM- und/oder DRG–Vorgaben hin zu zeitgemäßem Qualitäts- und Leistungsbezug mit Kostentransparenz und zu einer Ärzte und deren Mitarbeiter wertschätzenden ausreichenden Finanzierung der medizinischen Versorgung. Finanzüberschüsse der GKV dürfen nicht zu sogenannten Kassenvermögen umbenannt werden.
Das Hauptinteresse der Selbstverwaltungsorgane liegt von Reform zu Reform überwiegend in einer durchschnittlichen, kollektiven GKV-konformen Kassenmedizin ohne Anreize für Qualität.
Obwohl von Ökonomen und Gesundheitspolitik vom Gesundheitsmarkt als Wachstumsmarkt und von einer Gesundheitswirtschaft mit beinahe 5 Millionen Arbeitsplätzen und 11 % Anteil am Bruttosozialprodukt gesprochen wird, müssen wir, die Unterzeichner dieses Briefes, und die von uns vertretenen Chirurginnen und Chirurgen, fachärztlichen Operateure und Anaesthesisten, im Rahmen innerärztlicher Umverteilungen Verluste hinnehmen, deren Umfang einen verant- wortungsvollen Praxisablauf unter nachweislicher Berücksichtigung aktueller Gesetze und Normen kaum mehr aufrecht erhalten lässt.
Dies beinhaltet beim ambulanten Operieren z.B. den Einsatz von modernen Hygiene- schutzmaßnahmen und andere Maßnahmen zur Verbesserung der Patientensicherheit – hier wird regelmäßig der medizinische Fortschritt ökonomisch den Ärzten aufgebürdet. Die Kranken- kassen verweigern regelmäßig ihre Mitwirkung.
Mehrfach wurde der KBV und auch Krankenkassenvertretern der Vorschlag unterbreitet, bei zertifizierten Praxen diese Kosten als Qualitätsanreiz zu erstatten – bisher ohne jegliches positives Echo und ohne Erfolg. Denn positive Honorarunterschiede würden eins zu eins in die Kostenstruktur unserer oft bereits seit Jahren freiwillig zertifizierten Praxen einfließen und nicht, wie gerne und medien- wirksam behauptet, zum alleinigen Ansteigen unserer zu versteuernden Einkommen führen.
In diesem Zusammenhang möchten wir Ihr Augenmerk gleichzeitig auf die Krankenhäuser lenken. Gerne wird regelmäßig auf dort stattfindende Hygieneskandale hingewiesen. Sie dürfen versichert sein, dass diese in ihrer Gesamtzahl weniger individuellem Fehlverhalten zuzuschreiben sind, sondern als die logische Konsequenz von ordnungspolitisch verordneter Minderqualität anzusehen sind – ein Szenario, dass uns gleichermaßen droht.
Die nicht aus Wirtschaftlichkeit, sondern durch pures Spardiktat und radikale Rationierungs- maßnahmen im Sprechzimmer und am Krankenbett ermöglichten Kassenüberschüsse werden inzwischen ganz einfach als Vermögen der gesetzlichen Krankenkassen bezeichnet. Der von Ihrem Finanzminister beanspruchte Milliardenbetrag (Rückführung aus dem Fonds) entspricht in etwa dem Finanzvolumen, das sektorenübergreifend zur Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung von qualitäts- und weniger angebotsorientierten Versorgungsstrukturen dringender denn je benötigt wird.
Wenn der Pharmabereich und der Medizintechnische Komplex der Gesundheitswirtschaft von Wachstumspotenzial sprechen und private Klinikketten für Milliarden ab- und eingekauft werden, dann muss auch für die eigentliche Kernkompetenz in Form einer guten medizinischen Versorgung am und für den Patienten ein ebenfalls marktwirtschaftlicher Maßstab angelegt werden.
Nur allzu gerne wird genau hier auf die caritative Schiene verwiesen und die Zuständigkeit von der Politik auf Kassen und ärztliche Selbstverwaltung und von diesen genannten wiederum auf Ärzte und ihre Mitarbeiter verlagert.
Hier bedarf es einer mittel- und langfristigen Planung wie begleitender retro- und prospektiver Analysen unseres Gesundheitssystems mit der maßgeblichen Teilnahme und Mitverantwortung der darin aktiv tätigen Ärzte. Die von uns ambulanten Operateure selbst finanzierten und von einem unabhängigen Qualitätsinstitut quartalsweise ausgewerteten Patientensicherheits- Fragebögen (AQS 1) sind ein freiwilliger und sehr wichtiger Beitrag dazu. Auf dem Chirurgen- kongress 2014 in Berlin werden wir erstmalig eine bundesweite und eine Dekade umfassende Auswertung vorstellen. Wir liefern somit verlässliche und transparente Daten zur ambulant operativen Patientenversorgung – wie auch 2010 durch das von uns beauftragte Gutachten bei Professor Oberender zum Einsparpotential durch Ambulantes Operieren.
Stattdessen gilt bis heute für uns eher das Quadratabstandsgesetz in Bezug auf die gesund- heitspolitische Mitsprache bzw. Einflussnahme und sachverständigen Einblick. Wer dagegen häufig in Talkshows sitzt, verfügt selten über Zeit für die aktive ärztliche Tätigkeit in der Klinik und in der Praxis, dafür als Kompensation dieser Defizite häufig über politische Befugnisse.

Ein großer Anteil der aktiven Fach-Ärzteschaft fühlt sich in diesem instabilen und vermeintlich reformfreudigen System nicht mehr ausreichend und kompetent vertreten. Kleine, aber für die Patientenversorgung unverzichtbare Fachgebiete, werden durch den Zwang zum Einheits- punktwert erheblich benachteiligt.
Lassen Sie uns deshalb nochmals zusammenfassen:
1. Die niedergelassenen Chirurgen und die ambulanten Operateure haben sich sehr frühzeitig für die jetzt beendete schwarz-gelbe Koalition ausgesprochen und dies auch öffentlich kommuniziert.
2. Ernüchtert müssen wir vier Jahre nach dem letzten Regierungswechsel feststellen, dass keine nachhaltigen positiven Auswirkungen für Patienten und Ärzte zu registrieren sind und befürchten, dass die Inhalte der derzeitigen Koalitionsverhandlungen wiederum kein Signal für wirklich positive und stabile gesundheitspolitische Veränderungen sein werden.
3. Deshalb erwarten wir gerade nach diesem eindeutigen Wahlausgang eine deutlich kompetentere politische Verantwortung in der Gesundheitspolitik, als wir sie innerhalb der vergangenen vier Jahre kennenlernen bzw. ertragen durften. Gesetzlich verordnete Termine beim Facharzt sind populistisch und schaffen neue Probleme für Patienten.
4. Im Bewusstsein unserer Verantwortung gegenüber unseren Patienten und der Tradition und des Ansehens unseres Berufes streben wir primär einen direkten Konsens zwischen Politik und den medizinischen Leistungsträgern an, mit dem Ziel einer direkten Verbesserung der ambulanten operativen Versorgung in Deutschland unter dem Diktum der Patientensicherheit.
5. Das Ambulante Operieren insbesondere von Kindern und Risikopatienten stellt eine spezialfachärztliche Versorgungsform dar – wir begrüßen jede diesbezügliche Initiative.
6. Bereits die Wahl des nächsten Bundesgesundheitsministers wird darüber Auskunft geben, welche Entwicklung und Wertschätzung nach der Wahl unser Gesundheits- system und dessen wahre Leistungsträger erfahren können.
7. Unabhängig davon werden wir sehr genau beobachten, welche Einflussnahmen und Veränderungen im Gesundheitswesen stattfinden, mit welchen Zuständigkeiten und mit wessen persönlicher Verantwortung und Haftung.
8. Unsere kompromissbereite Haltung schließt allerdings eine Konfliktbereitschaft in dem gleichen Maße nicht aus, wenn das gesundheitspolitische Tagesgeschäft diese Vorgehensweise nötig und erforderlich erscheinen lässt.
9. Für persönliche konstruktive Gespräche stehen wir jederzeit gerne zur Verfügung.

Für Ihre weitere politische Arbeit wünschen wir Ihnen persönliches Wohlergehen und viel Erfolg! Mit freundlichen Grüßen


Dr. med. Axel Neumann Präsident des BAO

Dr. med. Christian Deindl

Scroll to Top